Deine Gegend ist nicht motivlos!

 

Könnt ihr euch vorstellen, dass es auf der Welt FotografInnen gibt, die genau jetzt, genau da sein wollen, wo ihr gerade seid?!

„Was? Hier in Hinterschlaubach is‘ doch nix los. Was will denn hier jemand fotografieren?“, mögen nun vielleicht einige denken.

Ok, und falls ihr meinen Blog gerade im Monument Valley lest, wofür ich euch außerordentlich dankbar bin, denn ihr könntet dort ja auch einfach Bilder machen…

… Dann werdet ihr die einleitende Frage sicherlich mit „Ja, klar. Aber sowas von“ beantworten.

Denken wir hier aber mal ein bisschen weiter.

Woran liegt das denn, dass die eigene heimische Umgebung uns eher langweilig und >motivlos< vorkommt? Und warum erscheint das Monument Valley so viel spannender?

Die Antwort ist recht einfach: Weil die meisten von uns nicht im Monument Valley leben.

Nicht dort jeden Morgen aufstehen, dort nicht immer wieder den gleichen Sonnenaufgang erleben und dort nicht jeden Schatten am berühmten Westernfelsen unabhängig von der Tageszeit beim Vornamen kennen.

Stellt es euch aber ruhig mal vor: Ihr lebt dort im Schatten jenes Leinwandfelsens und müsst nur auf eure Veranda gehen, um die phänomenale Gesteinsformation bei jedem erdenklichen Licht fotografieren zu können.

Ein Traum!?

Für die ersten paar Tage und Wochen, vielleicht Monate, mag es sicherlich super spannend sein, gibt ja neben dem einen Felsen, noch ein paar andere dort. Ich würde sogar behaupten, die Gegend liefert traumhafte Motive für Jahre.

Aber dann…

Ihr lebt seit einigen Jahren im Monument Valley und irgendwann geht euch beim Betrachten eurer Bilder auf, dass die doch alle irgendwie Ähnlichkeiten haben. Die Farben… Rottöne überall, dabei steht ihr vielleicht sogar eher auf das kühle Blau, welches im wolkenlosen Himmel, nicht immer das spannendste Motiv hergibt. Die Farbe fehlt euch aber einfach.

„Komm, lass mal ans Meer fahren“. Der Gedanke ist auf einmal da. Ihr konntet nichts dagegen tun.

Und genau in diesem Moment, da euch dieser Gedanke ereilt, denkt irgendwo am Meer ein Mensch: „Mhhhh, Wasser. Überall Wasser. Alles blau. Ich kann’s nicht mehr sehen“.

Vermutlich ahnt ihr jetzt schon, worauf ich hinaus will. Bilder fremder Orte machen uns deswegen so an, weil sie sich von dem unterscheiden, was wir alltäglich vor der eigenen Haustüre sehen.

Das ist auch erst einmal überhaupt nicht schlimm. Ganz im Gegenteil sogar. Als Fotograf, als Mensch, als erforschendes Wesen interessieren wir uns für Neues. Inspiration wartet. Wir können lernen, staunen.

Wir sollten aber nicht dem Irrglauben verfallen, großartige Bilder können nur im Monument Valley und nicht vor der eigenen Haustüre entstehen.

Sicher, wenn euer Herz für die Landschaftsfotografie schlägt, mag das kleine, forstwirtschaftlich genutzte Wäldchen kurz vor dem Ortsschild von Hinterschlaubach im Vergleich zum bereits überstrapazierten Tal nicht sonderlich spannend wirken.

Vermutlich wird es auch den wenigsten unter uns gelingen, in diesem, jenen Wäldchen ein Bild zu produzieren, dass aussieht, als wäre es im Tal entstanden.

Aber ist das denn schlimm? Muss es denn das Bild mit dem roten Sand und den roten Felsen sein?

Warum nicht die monumentale Aufnahme einer knorrigen Kiefer, die sich im Nebel über einen gefrorenen Teich neigt?

Dann nämlich hättet ihr ein Bild an der Wand hängen, welches nicht auch in tausenden anderen Wohnungen hängt. Und ihr hättet es gemacht. Ihr. Im Wald, 25 Minuten von hier mit dem Rad.

Und wenn eure Leute es sehen, werden sie staunen. Sie werden fragen, wo ihr das Bild gemacht habt. Eine Frage, welche beim Bild aus dem Tal sicherlich nicht gestellt werden würde.

Und sie werden sich wundern, warum ihnen die alte Kiefer bisher nicht selbst aufgefallen ist.

Und dann könnt ihr ihnen von diesem kleinen Artikel hier erzählen.

Also, geht raus. Fahrt ein paar Kilometer mit dem Rad, macht euch auf die Suche.

Und denkt immer daran: Gerade jetzt wünscht sich irgendwo jemand, genau da zu sein, wo ihr jetzt seid, um dort ein wundervolles und einzigartiges Bild aufzunehmen.

An dieser Stelle geht mein Dank an den wunderbaren Henry Turner. Manchmal brauchen wir einfach Menschen, wie ihn, um uns an die einfachen Dinge zu erinnern.